Pubertät... die Zeit in der Herrchen und Frauchen komisch werden...
Lumi ist jetzt gerade 14 Monate alt geworden. So eine spannende Zeit LOL.
Die Zahnung war mit gut 6 Monaten durch, und in der Pubertät war er mit 7 Monaten, da fing er an, das Beinchen zu heben und hat auch nur selten dabei geschwankt ;). Seit dem hat sich körperlich so viel verändert, der wunderschöne Fleckenjunge hat inzwischen 32 kg mit ganz vielen Muskeln, das Höhenwachstum ist weitgehend abgeschlossen, an Substanz kommt gefühlt alle 4 Wochen noch etwas dazu und das wird sicher auch noch bis ca. zum dritten Lebensjahr mehr oder weniger so weitergehen. Was der Hunde-Körper in den letzten Monaten geleistet hat, ist wirklich ein Wunder.
Aber nicht nur körperlich verändert sich der heranwachsende Hund, mehr noch tut sich im Gehirn, das zur Großbaustelle wird. Und das geht über die Pubertät, die wir hier mal als Teil der Adoleszenz definieren, die zur Geschlechtsreife führt, hinaus.
Die Adoleszenz ist die Zeit, in der der Hund auch kognitiv, emotional und sozial erwachsen wird.
Und das kann dauern. Bei Rüden länger als bei Hündinnen, und bei manchen Rassen deutlich länger als bei anderen.
Wie sagt Anne so schön, der Hund ist erwachsen, wenn unter jeder Pfote ein Jahr ist.
Ausflug in die Neurobiologie:
Das Gehirn verädert sich in der Adoleszenz strukturell und funktionell und wird beeinflusst durch verschiedene Faktoren, wie z.B. durch Hormone, die Umwelt, Lernerfahrungen und Genetik. U.a. eine Verschiebung der Prädominanz unterschiedlicher Neurotransmitter ist für eine erhöhte Risikobereitschaft, impulsives Verhalten und erhöhte Erregbarkeit und vermehrte Emotionen verantwortlich.
Die Nervenzellen werden durch Myelinisierung zu schnelleren Informationsbahnen oder auch ganz abgeschaltet, neue Verknüpfungen werden geknüpft, alte möglicherweise gelöst.
Es besteht eine Plastizität, das bedeutet, dass die einzelnen Teile des Gehirs sich neu strukturieren , und der Prozess dynamisch ist. Dies bedeutet auch eine erhöhte Vulnerabilität für "ungünstige" ("das hat er ja noch nie gemacht") Entscheidungen, da die Schaltkreise für "kritisches" Denken gerade "under construction" sind. Aber auch Auswirkungen auf Bewegungskontrolle (Sprung übers Wasser nicht ganz geklappt, oder der Abhang war doch steiler als gedacht...), Problemlösung, Gedächtnis (Sitz? wie ging denn das noch mal?) , Impulskontrolle (see you later, alligator äh Frauchen.. ich hab heute noch was anderes vor!), soziales (Hund probiert mal Türsteher mit Goldkettchen aus) und sexuelles Verhalten (lecker Mädchen... 😉 ) werden in dieser Zeit sichtbar, und das auch mal an einem Tag so und am nächsten ganz anders. Aber es wird eben auch gelernt, sich an Gegebenheiten anzupassen und Schaltkreise, die häufig benutzt werden und zu guten Ergebnissen führen, werden gut und sicher vernetzt. (Quelle human: Neuropsychiatric. Dis Trea. 2013 Apr 3;9:449–461. doi: 10.2147/NDT.S39776, Maturation of the adolescent brain, Mariam Arain et al)
Ganz spannend auch dieser Artikel: Biol. Lett. 2020 May 13;16(5):20200097. doi: 10.1098/rsbl.2020.0097 Teenage dogs? Evidence for adolescent-phase conflict behaviour and an association bezween attachment to humans and pubertal timing in the domestic dog. Lucy Asher, et al.
Lumi ist ein wirklich guter Punktejunge, der nur ab und zu mal das Achselshirt und Goldkettchen überstülpt 😉
Bei Lumi habe ich das in den letzten 3 Monaten immer wieder mal gemerkt. Er traut sich auch mal etwas weiter weg von mir im Freilauf, und etablierte Routinen werden noch mal auf den Prüfstand gestellt. Auf der anderen Seite macht er z.B. beim Apportieren große Lernsprünge, aber manchmal scheint auch etwas fast vergessen.
Bei Spaziergängen, die länger als eine Stunde dauern, merke ich, dass er sich kaum noch konzentrieren kann, dafür kann er an den meisten Tagen bekannte Übungen immer länger ausführen. Die Leinenführigkeit wird immer besser und konstanter.
Größter Außenreiz sind für ihn weiterhin andere Hunde. Sieht er andere Hunde, die ihn auch anschauen, dann will er hin. Sind wir an den Hunden vorbei, sind sie weitgehend uninteressant. Hat er ein bisschen Zeit zum Nachdenken und er konzentriert sich auf mich und gemeinsame Aufgaben (s. z.B. auch den Beitrag über das Ringtraining) dann gehen auch andere Hunde in der Nähe ziemlich gut.
Wichtig war mir hier, dass Hundebegegnungen nicht zu einem Dauer-Frust-Thema werden, sondern dass wir die souverän und ruhig meistern, gerade bei einem unkastrierten Rüden. Die große Gefahr: Hund darf nicht zum anderen Hund hin, die Leine wird straff, die Spannung überträgt sich auf Mensch und Hund, die negative Verknüpfung ist ganz schnell da, zumal es für Hunde ja völlig unnatürlich ist, frontal auf einander zuzugehen, wie es auf Spaziergängen und dann auch noch mit engen Wegen leider oft der Fall ist. Hund wird "reaktiv" (das Wort gab es früher auch noch nicht, beschreibt aber mit einem Wort den leinenaggressiven Hund in all seinen Ausprägungen).
Hier habe ich - wie ich finde relativ erfolgreich bisher - mit Bögen gehen die Richtung und den Winkel zum anderen Hund verändert, habe ab und zu abgelenkt, Rituale und auch Marker genutzt um gute Emotionen zu verknüpfen, die ziehende Hilfe und das "Jojo-Spiel", soweit dies im Alltag möglich und umzusetzen war geübt, die überschäumende Erwartungshaltung zu einem ruhigeren Verhalten verändert .
Hier haben wir noch viel Arbeit vor uns, aber ich glaube, dass wir bei dem Thema auf einem recht guten Weg sind.
Ansonsten kommt jetzt in der Adoleszenz vereinzelt mal ein bisschen "Wachen" durch, z.B. mal ein kurzes Laut geben, wenn sich nachts im Haus ein ungewöhnliches Geräusch zeigt, was völlig ok ist, weil ich mit einer kurzen Ansprache sagen kann, dass er sich nicht weiter darum kümmern muss.
Oder auch - und hier sieht man die Gehirnumstrukturierung super deutlich - so etwas wie folgende Szene: meine Mutter kam in einen roten Bademantel gekleidet überraschend ins Zimmer, Lumi wufft sie einmalig an (Impulsivität, nicht nachgedacht), erkennt sie und grinst sich einen Ast ab als "Demuts"- und soziale Geste und zwar ihr und mir gegenüber. Das war ihm ganz offensichtlich "peinlich" (ja, ich weiß, das ist jetzt reininterpretiert, aber es passte so gut), dass er sich da so daneben benommen hatte. Und es zeigt auch die Ambivalenz, in der die Hunde in diesem Alter festhängen. Fast schon erwachsen, denken sie, sie können Aufgaben überehmen, an denen sie aber dann ganz schnell scheitern. Umso wichtiger ist es für den Hundehalter, dem Hund klar zu machen, wofür er zuständig ist und wofür (vor allem!) nicht! Denn schnappt der Hund sich Aufgaben, deren Ausführung dem Menschen nicht gefallen, dann ist der Ärger gr0ß, und das obwohl der Hund eigentlich nur hündisch agiert.
Damit zusammen hängt auch eine gemeinsame Entscheidung in dieser Phase des Erwachsenwerdens.
In der freien Natur würde der Hund sich in diesem Alter entscheiden, ob er im Familienverband verbleibt oder ihn verlässt und seinen eigenen Familienverband gründet. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass der Hundehalter dem Hund gute Argumente liefern muss, zu bleiben. Sicherheit, Geborgenheit, Führung, Spiel und Förderung, gegenseitiger Respekt und nicht zuletzt sozialer Körperkontakt; Kuscheln, Streicheln und Pflege. Das heißt auch, der Mensch muss souverän und authentisch und klar sein, und in seiner Mitte, wie man so schön sagt, damit sich auch der Hund klar für ihn oder sie als Pilot auf dem gemeinsamen Weg entscheiden kann. Beziehung und Bindung bauen sich in der Adoleszenz noch einmal neu auf, auch wenn natürlich alles vorher nicht verloren geht.
Ich finde aus dem Gesagten auch umso wichtiger, mit dem Hund gemeinsam zu "arbeiten". Ein gemeinsames auch für den Hund sinnvolles und schönes Hobby zu haben, an dem man als Team wachsen kann.
Bei Lumi ist das neben der "normalen" Erziehung vor allem das Dummytraining. Hierin sind viele wichtige Dinge enthalten wie Fußgehen, Warten, Frustrationstoleranz, aber der Hund gelangt beim Dummytraining gemeinsam mit seinem Menschen zum Erfolg; und gemeinsam stolz zu sein auf das Erreichte, gemeinsam zu Lernen und Problemlösungen zu finden, bei denen der Hund ganz viel Lob bekommen kann, stärken die Bindung zwischen Hund und Mensch wahnsinnig - und es macht einfach Spaß. Und so kann sich der Hund auch jeden Tag FÜR seinen Menschen entscheiden.
P.S.: auch wenn ich das natürlich alles "weiß", heißt es nicht, dass bei uns alles perfekt läuft - so toll dieser kleine Hund insgesamt auch ist. Das kann es nicht und das muss es auch nicht, denn auch beim Menschen selbst ist nicht jeder Tag gleich und nicht immer die gleiche Energie und Führungsstärke abrufbar.
Aber es hilft, diese besondere Zeit der Hundeadoleszenz in einen Kontext zu setzen. Es hilft auch, Geduld und Konsequenz zu behalten ;).
Wichtig ist glaube ich, dass die Leitplanken stehen, dass man grundsätzlich weiß, was man will, und dass wie immer auch der Mensch an sich arbeitet um für den Hund die beste Version seiner oder ihrer selbst zu werden. Dass man kleine Schritte geht und zwar Ansprüche hat, aber genauso auch einen blöden Tag abhaken kann, sich selbst und dem Hund gegenüber liebevoll ist und auch mal 5e gerade sein lässt und auch einfach mal über sich und den Hund lachen kann.
Mir hat eine Vorstellung von Anne immer geholfen: wir schlagen gemeinsam jeden Tag in unserem Buch des Lebens ein neues weißes Blatt auf und schreiben unsere gemeinsame Geschichte.
P.S.: Anne ist "unsere" Hundetrainerin Anne Krüger-Degener (jetzt muss ich glaube ich schreiben Werbung wegen Namensnennung oder so 😉
Also: viel "Spaß" mit euren Adoleszenten - oder denen die es noch werden wollen oder auch denen, bei denen die 4. oder 5. Pubertät auch später noch mal reingrätscht ;).